Ist ein Besen immer noch der gleiche Besen...?

Das Ergebnis basiert auf 14 Abstimmungen

Es ist nicht mehr der gleiche Besen, weil... 86%
Es ist immer noch der gleiche Besen wie am Anfang, weil... 14%
Trullalla56  20.04.2024, 23:16

Machst du Scherze ❓

LastDayofEden 
Fragesteller
 20.04.2024, 23:37

Natürlich nicht! Ich würde nie sagen: "Ich hab jetzt einen neuen Besen", nachdem ich beide Teile ersetzt hätte. Das ist für mich der alte Besen mit ersetzten Teilen.

2 Antworten

Diese Frage ist (wie bereits die hilfreichste Antwort korrekt wiedergibt) eine stark vereinfachte Variante des bekannten Paradoxons "Schiff des Theseus". Außerdem werden derartige Fragen ja auch oft im Kontext des menschlichen Körpers gestellt, der sich zumindest in Teilen regelmäßig erneuert.

Die philosophische Lösung zu diesem Problem kreist um die Themen Identität und Information/Vernetzung.

Im Beispiel deines Besens kann man aber zumindest schon mal vorab konkret zu deiner Frage sagen, dass es NICHT "der gleiche Besen" ist, denn so eine Art "Gleichheit" ist hier offensichtlich nicht gegeben. Es mag zwar immer noch "Dein Besen" sein (Identitätsfrage), aber es ist nicht mehr "der gleiche Besen".

Gedankenexperiment 1: Man stelle sich vor, dein Besen liegt neben einer neuen Bürste und neuem Stil. Setzt man erst die beiden neuen Teile zusammen und du suchst dir den neuen Besen als deinen aus, würde niemand auf die Idee kommen, überhaupt die Frage zu stellen. Du hättest einen neuen Besen, der wieder "dein" Besen ist, aber es wäre dinglich klar ein anderer. In deinem Beispiel schraubst du nicht die beiden neuen Teile gleich zusammen, sondern erst alte Bürste mit neuem Stil, dann wieder auseinander und neue Bürste auf neuen Stil. Selbst wenn dazwischen eine gewisse Zeit verginge, wäre nicht erkennbar, welche "Identität" erhalten bleiben sollte durch die zwei zusätzlichen Wechsel.

Gedankenexperiment 2: Stell dir vor, der neue Bürstenkopf unterscheidet sich erkennbar von dem alten in der Weichheit der Borsten, ebenso der Stil in der Farbe des Holzes. Für einen Beobachter wäre jetzt völlig klar, dass es ein anderer Besen ist. Nichts an ihm ist wie vorher. Ob du dem Beobachter dann nachträglich von den schrittweisen Wechseln berichtest oder nicht, es wird nichts dran ändern, dass es eben ein anderer Besen ist, der auch andere Eigenschaften hat. Und in der realen Welt haben eben Ersatzteile fast immer andere Eigenschaften und sei es eben nur, dass sie nagelneu und glänzend sind.

Bei komplexeren System als ausgerechnet einem zweiteiligen Besen, wie zum Beispiel Theseus Schiff, bei dem immer wieder Teile ersetzt werden, bis keines der Originalteile mehr vorhanden ist, stellt sich eher die Frage nach Information und Vernetzung der Teile. Es sollte keine Massenware sein, sondern eben ein individuelles Schiff, mit individueller Bauart, mit speziellen Raffinessen, das dauerhaft in Nutzung ist und bei dem ab und zu Teile getauscht werden. Da bleibt die Identität des Schiffes erhalten, weil die Teile zusammen mehr bilden als nur die Summe der Teile. Sie bilden eben DIESES Schiff mit dieser bestimmten Bauweise und Nutzung und Erlebnissen. Selbst dann, wenn nach 50 Jahren Reparatur jedes einzelne Teil nacheinander ausgetauscht wurde, so ist das Zusammenspiel einmalig und individuell. Aber das ist eben auch die Hürde, die genommen werden muss: Einzigartigkeit, Individualität, etwas Identitätsstiftendes.

Was den menschlichen Körper angeht, so stimmen die populärwissenschaftlichen Behauptung natürlich nicht. Das ist einfach Mumpitz. Weder erneuern sich alle Atome in sechs Monaten noch der gesamte Körper in sieben Jahren, alles völliger Quatsch. Viele Nervenzellen begleiten uns das gesamte Leben, denn wenn erinnerungstragende Neuronen einfach mal so durch inhaltsleere neue Zellen getauscht werden würden, wäre das übel. Viele, aber bei weitem nicht alle Knochenzellen überdauern bis zum Lebensende. Andere Zellen wie Darmepithel werden alle paar Tage getauscht, Blutkörperchen alle paar Wochen. Die Moleküle verlassen dabei aber nicht unbedingt den Körper, sondern werden oft wiederverwendet.

Beim Menschen gilt daher ganz besonders das Argument der Vernetzung und Identität: Wir sind vorrangig die Summe unserer Erinnerungen und natürlich auch unserer Gene. Der physisch exakt selbe Klon ohne unsere Erinnerungen wäre ein völlig anderer Mensch; die gleichen Erinnerungen in einem anderen Körper wären auch nicht dasselbe...


LastDayofEden 
Fragesteller
 24.04.2024, 12:45

Vielen Dank für deine Erläuterungen und Ausführungen!

Ja, da hast du einige sehr spannende Dinge erwähnt, aber ich finde, dass du wesentliche Punkte ausgelassen hast, die auch sonst niemand bisher erwähnt hat.

Ich erkläre es anhand deiner Beispiele:

In deinem Beispiel schraubst du nicht die beiden neuen Teile gleich zusammen, sondern erst alte Bürste mit neuem Stil, dann wieder auseinander und neue Bürste auf neuen Stil. Selbst wenn dazwischen eine gewisse Zeit verginge, wäre nicht erkennbar, welche "Identität" erhalten bleiben sollte durch die zwei zusätzlichen Wechsel.

Doch, es bleibt eine Identität erhalten, die eben noch niemandem eingefallen ist: Meine Beziehung zu diesem Ding. Indem ich den Besen regelmässig nutze, bleibt er eben auch dann "mein" Besen, wenn seine Teile nach und nach ausgetauscht werden.

Genau so wie "Hamburg" seine Identität behält, wenn sämtliche Gebäude und sonstigen Strukturen, ja sogar der Verlauf der Flüsse und die Gestalt der Hügel rundherum verändert wurden und nichts mehr so ist wie vor 1200 Jahren, als die Hammaburg gebaut wurde.

Warum ist es immer noch "die gleiche Stadt"? Weil dort fortwährend Menschen gelebt haben, die eine Beziehung zu diesem Ort haben und sagten: "Das ist meine/unsere Stadt".

Warum ist Theseus' Schiff jenes mit den ausgetauschten Teilen? Weil er dieses Schiff in Auftrag gegeben hat, weil er es bezahlt hat, weil es nach seinen Wünschen und Vorstellungen verändert wurde.

Zu den weggeworfenen Teilen hat er zwar auch noch einen Bezug, aber sie sind nicht mehr "sein Schiff", sondern nur noch weggeworfene Teile.

Zu deinem Gedankenexperiment 2:

Ob du dem Beobachter dann nachträglich von den schrittweisen Wechseln berichtest oder nicht, es wird nichts dran ändern, dass es eben ein anderer Besen ist, der auch andere Eigenschaften hat. Und in der realen Welt haben eben Ersatzteile fast immer andere Eigenschaften und sei es eben nur, dass sie nagelneu und glänzend sind.

Das ist allerdings irrelevant. Das ist wie wenn ich ein Leben lang mit einem Partner zusammen bin. Es ist egal, dass er altert, er kann sich auch piercen, tätowieren, sich umoperieren oder alle seine Gewohnheiten ändern - solange ich sage "das ist mein Partner", ist er das.

Und ich (und auch alle anderen) werden sagen: Ich habe ein Leben lang den gleichen Partner gehabt.

Obwohl nichts mehr an ihm ist wie am Anfang.

Beim Menschen gilt daher ganz besonders das Argument der Vernetzung und Identität: Wir sind vorrangig die Summe unserer Erinnerungen und natürlich auch unserer Gene.

Wenn der von mir oben erwähnte Partner nun auch noch Demenz bekommen würde und alle seine Erinnerungen gelöscht würden, hätte ich aber immer noch den gleichen Partner.

Das liegt daran, dass wir nicht nur durch Beziehung, sondern auch durch eine fortgesetzte Geschichte unsere Identität bewahren - oder, wie wir am Beispiel einer Stadt gesehen haben, auch Dinge.

Deshalb ist mein Besen immer noch der gleiche Besen, auch wenn ich alle Teile mit der Zeit austausche - weil ich einen Bezug dazu haben und weil wir eine gemeinsame, fortgesetzte Geschichte miteinander haben.

Beziehungen, insbesondere langfristige, sind identitätsstiftend, das ist eine der wesentlichsten Aspekte der menschlichen (und auch der tierischen) Psyche überhaupt.

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Kajjo  24.04.2024, 12:53
@LastDayofEden
Beziehungen, insbesondere langfristige, sind identitätsstiftend, das ist eine der wesentlichsten Aspekte der menschlichen (und auch der tierischen) Psyche überhaupt.

Ja, das ist grundsätzlich richtig und das hatte ich ja auch erwähnt. Die Frage ist eben, welchen Mindestanspruch man an Identität und gemeinsame Erlebnisse stellt.

Ich finde nicht, dass das eine Schwarzweißeigenschaft ist, sondern graduiert. Aber ein Ding wieder vereinfachte Besen, der nur aus zwei Teilen besteht... hm, da ist mein Gefühl doch sehr skeptisch.

Würdest du nacheinander über viele Jahre allmählich jede Borste einzeln tauschen, wäre mein Gefühl womöglich anders.

Insgesamt ist das zweiteilige Besenbeispiel vielleicht doch so stark vereinfacht, dass es eine Grenze unterschreitet, mit der ich persönlich mit einem Besen "identifizieren" kann.

Indem ich den Besen regelmässig nutze, bleibt er eben auch dann "mein" Besen, wenn seine Teile nach und nach ausgetauscht werden.

Ja, das ist richtig -- zumindest bezogen auf komplexere Dinge, bei denen kleine Teile ausgetauscht werden, aber das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.

Das hatte ich ja auch so beschrieben bezüglich Theseus Schiff.

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LastDayofEden 
Fragesteller
 24.04.2024, 13:08
@Kajjo
Insgesamt ist das zweiteilige Besenbeispiel vielleicht doch so stark vereinfacht, dass es eine Grenze unterschreitet, mit der ich persönlich mit einem Besen "identifizieren" kann.

Das ist ein interessanter Aspekt. Tatsächlich habe ich überlegt, ob es ein anderes Beispiel gibt. Das Problem scheint mir zu sein, dass (zumindest in meinem Empfinden) bei einem Besen Stiel und Borsten gleich relevant sind.

Den Stiel halte ich, damit arbeite ich, also habe ich dazu eine engere Beziehung als zu der Bürste, obwohl jene der "funktionale" Teil ist. Die Bürste ist aber weiter weg, deshalb habe ich einen weniger engen Bezug.

Wenn ich aber von meinem Besen zuerst den Stiel austausche, dann wische ich immer noch mit dem gleichen Besen (= den gleichen Borsten). Wenn ich mich dann auch an den neuen Stiel gewöhnt habe, kann ich auch die Borsten austauschen und habe trotzdem noch den gleichen Besen, weil ich immer noch den gleichen Stiel in der Hand habe.

Bei einem Rasiermesser zum Beispiel würde ich das aber nicht so empfinden. Ich glaube, du würdest sagen, es ist immer noch das gleiche Messer, wenn du die Klingen austauschst - obwohl das der funktionale Teil ist.

Aber es ist eben auch der Teil, der sich schnell abnutzt und dann ausgetauscht werden muss. Das ist also quasi ein integraler Teil dieses Werkzeugs, dass man die Klinge ab und zu austauschen muss.

Wenn du aber den Griff austauschst, sagst du wohl kaum noch, dass es noch das gleiche Messer ist, weil du das Werkzeug ausgetauschst hast, welches die Klingen enthält.

Das wäre also ein ähnliches Beispiel, bei dem ich aber anders empfinden würde, weil ich die beiden Teile nicht als gleichwertig empfinde.

Ebenfalls anders würde ich bei einer Pfanne mit Griff empfinden - die Pfanne selbst würde ich als die "Identität" des Gegenstandes betrachten, den Griff nur als "Anhängsel".

Es fällt mir jetzt auch kein weiteres Beispiel ein, wo ich zwei Teile eines Gegenstandes als gleichwertig betrachten würde und deshalb (potentiell) austauschbar. 🤔🤔

(Das Beispiel mit dem Besen stammt aus einem Buch, das mein Partner gelesen hat, weswegen wir auf diese Frage kamen - ich muss ihn nochmals fragen, was genau dort erwähnt war, ich weiss es nicht mehr genau :-).

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Es ist nicht mehr der gleiche Besen, weil...

...Du ja den ganzen Besen ausgetauscht hast und nichts mehr vom Anfang übrig bleibt.


LastDayofEden 
Fragesteller
 20.04.2024, 23:39

Das passiert auch mit dem menschlichen Körper. Nach 6 Monaten sind alle Moleküle im Körper ausgetauscht, bist du dann auch nicht mehr der gleiche Mensch? 🤔

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LastDayofEden 
Fragesteller
 21.04.2024, 00:16
@SeGrant

Nein, sonst hätte ich ja das gefragt. :)

Das Beispiel stammt aus einem Buch. Mein Partner und ich haben es diskutiert und ich dachte, es wäre eine spannende Frage für GF. :)

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LastDayofEden 
Fragesteller
 21.04.2024, 00:26
@SeGrant

Finde ich eben auch. Ich bin eher erschrocken, dass die meisten keine Objektkonstanz zu haben scheinen. 😅

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LastDayofEden 
Fragesteller
 21.04.2024, 00:41
@SeGrant

Ja, habs gemerkt. 😅

Aber alle jammern, wenn die Fragen unterirdisch sind - aber alles über dem absoluten Nullpunkt überfordert alle, oder wie? 😅

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SeGrant  21.04.2024, 00:44
@LastDayofEden

Ein grauenvolles Bildungssystem auf der einen Seite und Social Media auf der anderen haben die Jugend blöde gemacht. Und durch das Internet können sie ihren Senf nun auch überall verstreichen.

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LastDayofEden 
Fragesteller
 21.04.2024, 00:50
@SeGrant

Ich fürchte, das Internet verführt durch die Reizüberflutung auch dazu, Fragen vorschnell zu beantworten und gar nicht gründlich darüber nachzudenken.

Nicht dass meine Besenfrage die Welt umkrempelt - aber etwas drüber nachdenken könnte, finde ich, zu interessanten Erkenntnissen und neuen Perspektiven führen. :)

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LastDayofEden 
Fragesteller
 21.04.2024, 10:02
@SeGrant

Übrigens hier noch eine vergleichbare Frage: Hamburg wurde nach landläufiger Meinung gegründet im 8. Jahrhundert, als die Hammaburg auf einer der Elbinseln gebaut wurde.

Die ursprüngliche Hammaburg exisiert nicht mehr, und eine Weile später wurde sie sowieso geschliffen und an einer anderen Stelle neu aufgebaut.

Auch die neue Hammaburg existiert nicht mehr, es gibt kein einziges Gebäude in Hamburg aus jener Zeit, das noch steht.

Trotzdem würde jeder vernünftige Mensch sagen: "Hamburg ist rund 1200 Jahre alt" und dass es seither die gleiche Stadt ist - mit einer langen, wechselvollen Geschichte.

Und bei mir ist es halt mein Besen, der eine nicht ganz so lange, aber mindestens so wechselvolle Geschichte hat. ;-)

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