Was genau ist eure Lebensmotivation?

18 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Ich hab mal festgestellt, dass ich keine Voraussagen machen kann, wann oder wie sich die Situation ändert. Ändern tut sich jede Situation. Hab ich am Morgen gelacht, konnte der Abend in Tränen enden, oder umgekehrt. Für sehr schlechte Zeiten, die länger andauern, hab ich eine Ablenkungsmethode: Irgendwas lernen, eine Sprache, schwere Matheaufgaben lösen, in meinem Astronomiebuch weiterlernen und Sternenkarten zeichnen, lange Gedichte auswendig lernen usw. Wichtig ist, mich so richtig hineinzuverbeißen, dass ich die Zeit überstehe, ohne mich selber noch krank zu machen.

Und dann meine zweite Methode, die hab ich von William James: Meine Körperhaltung ändern. Kopf gerade auf den Schultern, mich aufrecht halten, um mich schauen. Und z.B. sehen, wo die Vögel fliegen, die Wolken, den Wind spüren, das Gras wächst, die Nachbarn unterhalten sich. Die Dinge und Wesen tun, was sie sonst immer tun. Die Trübsal befindet sich also nur in meinem Kopf. Das hilft mir, meine Lage zu relativieren. Die Körperhaltung macht ungemein viel aus. Ich hab mal mit meiner Freundin folgendes versucht: Man sitzt auf dem Stuhl, den Rücken gebeugt, Schultern und Kopf hängen lassen, Atmung flach, Mundwinkel nach unten. Und dann soll man etwas Positives sagen, z.B.: Ich hab Gehaltserhöhung gekriegt, ich freu mich so, könnte tanzen und singen, weil ich doch noch ins Pietmont fahren kann. Oder: Man steht aufrecht da, spürt die eigene Körperenergie, schaut aus dem Fenster und sieht die Rosen blühen, atmet tief, lächelt, und dann soll man sagen: Mir gehts hundsmiserabel usw.usw. Das geht nicht! Wir haben uns schief gelacht bei unseren Versuchen. William James sagt, man soll tun als ob. Bei mir funktioniert das ausgezeichnet.

Und noch ein drittes fällt mir ein: Wenn bestimmte Familienmitglieder anrufen und mir meine Stimmung versauen, guck ich an die Wand neben dem Festnetztelefon. Da hängt ein Haiku. Wenn ich drandenke und es beim Telefonieren lese, dann muss ich lachen und die biestige Verwandtschaft hat keine Chance mich runterzudrücken. :-)


Soziolekt 
Fragesteller
 21.06.2019, 16:32

Das ist wirklich sehr schön. Danke für die tolle Antwort. Ich werde die ein oder andere Sache mal ausprobieren. Viel Kraft auch an Dich :'-)

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lumbricussi  21.06.2019, 17:10
@Soziolekt

Danke. Und wenn du dieses Haiku auch brauchen kannst, das das seelische Immunsystem stärkt, dann sag ich's. :-) Jeder kann natürlich einen anderen Spruch haben, der ihm den Rücken stärkt, oder aufheitert, wie dieses Haiku. Ich seh es so: Wenn einem schlimme Dinge widerfahren, dann setzt das die Entropie in Gang, bei mir. Also muss ich erfinderisch sein, wie die Evolution. Die ist das Gegenteil von Entropie. Glaub ich. Ich sag mir dann: Entropie, du kriegst mich irgendwann, aber nicht jetzt. Und dann tu ich was. :-) Außerdem ist die Zeit auf jeden Fall hilfreich. Andauernd, für immer unglücklich sein kann niemand. Das ist das Verdienst der Zeit. Irgendwann wächst Gras über jede Geschichte. Dir alles liebe.

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Was bringt es mir, wenn ich mich unwohl fühle? Nichts.

Warum soll ich dann nicht immer glücklich sein?

Das ist die Ideale Lösung, egal was am Ende dabei raus kommt.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Soziolekt 
Fragesteller
 21.06.2019, 15:27

Man kann aber nicht immer glücklich sein. Emotionen sind natürlich. Man kann nicht sagen. "Ok, ab heute bin ich nicht mehr unglücklich"

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fortuneandlove  21.06.2019, 15:41
@Soziolekt

Nein natürlich stimmt das. Man muss auch weinen können und ohne Angst gäbe es kein Glück. Aber trotzdem sollte man in der Lage sein, die Gefühle zu steuern, anstatt sie vergeblich abzustellen. Schlechte gefühle können ausserdem auch in ein positives gefühl umgewandelt werden.

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In unschönen Momenten denke ich daran, dass es mir gerade nur so schlecht geht, weil es mir vorher mal besser ging. Unschöne Dinge müssen geschehen, denn woher wüssten wir sonst, wenn uns etwas Gutes passiert ?

Ich schätze schlechte Momente genau so, wie gute, denn das eine (gut) muss vorhanden sein, damit das andere existieren kann (schlecht) und umgekehrt.

Meistens denke ich dann an die schönen Dinge, die mir widerfahren sind. Das finde ich gut an den schlechten Momenten, nämlich, dass man anfängt, erst richtig über die schönen Sachen nachzudenken, über die man sich nicht so viel Gedanken machen würde, wenn es einem durchgängig gut ginge.

Alles Liebe,

Rose.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Zum Teil sehe ich es so, wie es Ingeborg Bachmann ausgedrückt hat:

Sklaverei ertrag ich nicht
Ich bin immer ich
Will mich irgend etwas beugen
Lieber breche ich.

Kommt des Schicksals Härte
oder Menschenmacht
Hier, so bin ich und so bleib ich
Und so bleib ich bis zur letzten Kraft.

Zum anderen Teil fühle ich mich verpflichtet meiner Familie und auch Bekannten und Weggefährten gegenüber: Aufgeben würde ihnen sehr weh tun, und das will ich nicht.


Soziolekt 
Fragesteller
 21.06.2019, 15:29

Das 'Gedicht' ist sehr ansprechend und auch passend. Danke für die gute Antwort ('-:

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Callmeavictim  21.06.2019, 16:33

Das ist immer schön leicht so was zu Papier zu bringen.

ABER WER KANN DAS SCHON WIRKLICH?

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Erst einmal halte ich mich an der Hoffnung fest... es könnte ja wieder besser werden.

Ferner hilft mir ein Spruch meiner Mutter, der mich immer genervt hat. Sie sagte oft: Es könnte noch schlimmer sein.

Nun, damit hat sie Recht. Jede Situation könnte noch schlimmer sein.

Es hilft auch, sich an vergangene Krisen zu erinnern, die man doch irgend wie gemeistert hat.